Manchmal komme ich mir so richtig alt vor, wenn ich mich selber oder mein fiktives Gegenüber frage: wo sind bloß die alten Zeiten geblieben? Mein fiktives Gegenüber würdigt mich, aus gutem Grund, keiner Antwort und ich selber bin noch auf der Suche danach. Im Grunde bin ich ein Mensch, der stets nach vorne blickt, versucht in die Zukunft zu sehen und begierig auf alles ist, was sich als neu und sinnvoll präsentiert. Was ist eigentlich das Objekt meiner melancholischen Gedanken? Keine Frage, es ist der Whisky oder vielmehr das, was dahinter steckt.
Noch vor 10 Jahren habe ich mich auf jede neue Abfüllung gestürzt, die eine der noch überschaubaren Brennereien oder ein Unabhängiger auf den Markt gebracht haben. Ich habe mich auf die Probe in der Post oder die Verkostung am Messestand gefreut. Klar tue ich das heute noch immer und meine Vorfreude auf neue, qualitativ hochwertige Abfüllungen ist stets ungetrübt und wird es auch immer bleiben. Nur wenn ich mich heute auf j-e-d-e Neuheit stürzen würde, die mir über den Weg läuft, wären meine Überlebenschancen gering und meine Lebenserwartung im Keller angelangt.
Zum einen schießen in vielen Ländern, und da schließe ich Schottland mit ein, die Brennereien aus dem Boden wie Petersilie. Neben einigen großen und mittleren Distilleries bilden sich Micro-Distilleries in aller Herren Länder. Alleine die USA spielen hier mit über 1.300 Brennereien mit, die sich bis in die Großstädte hinein ziehen. Der irische Whiskey erlebt eine wunderbare Renaissance, maßgeblich angestoßen durch John Teeling – was mich sehr freut. Natürlich wird dieser Aufschwung durch den Bau neuer Distilleries begleitet. Selbst Japan bleibt davon nicht verschont und auch der deutsche Whisky erlebt einen schönen Aufschwung. Hier allerdings entsteht der Whisky in fast allen Fällen in bereits bestehenden Brennereien, die dafür lediglich erweitert oder angebaut werden. Erneuern, anbauen und erweitern trifft auch die wunderschönen, alten Brennereien in Schottland. Es entstehen neue Still Houses, Pot Stills werden hinzugefügt und in einem Fall erfolgte sogar der Komplettneubau einer Brennerei, die nun ein klein wenig ausschaut wie das gestrandete Raumschiff Enterprise.
Zum anderen übernehmen, wie es scheint, immer mehr die Marketingabteilungen das Steuer in den Konzernen, was wiederum die Master Blender und Distillery Manager unter Druck setzt. Darüber habe ich mich schon einmal ausgelassen – aber wenn ich mir anschaue, welche Vielzahl von Abfüllungen buchstäblich auf den Markt geworfen werden, fehlt mir das eine oder andere Mal einfach das Verständnis. Ich kann nur den Kopf schütteln, wenn sich Sammler die ganze Serie der Game of Thrones Abfüllungen zulegen. Geht es hier um Etikett und Verpackung oder um Whisky? Und diese Serie ist nicht die einzige, die von Sammlern verfolgt wird. Bei manchen Bottlings habe ich den Eindruck, dass die Verpackung teurer war, als der ganze Whisky darin. Da lobe ich mir doch beispielsweise einen Dalmore 1263 King Alexander III., der in schlichtem Gewand daherkommt, aber ein unglaublich guter Tropfen ist.
Was ich eigentlich sagen will, ist, dass einige Dinge mit der Zeit drohen verloren zu gehen. Es fehlen die Marktübersicht, manchmal eine gewisse Kontinuität in der Qualität, eine konstante Konzernpolitik, immer mehr schwindet der Blick auf die Wünsche der Kernkundschaft in Europa und immer öfter der Blick fürs Wesentliche: qualitativ hochwertige Standardabfüllungen in Verbindung mit interessanten, überraschenden und genial gemachten älteren Bottlings, von mir aus auch in geringerer Auflage. Ich lege keinen Wert auf das Äußere, liebe Marketeers, für mich zählt alleine der Inhalt. Da bin ich Purist.
Bildquelle: Alba Collection Verlag