Wenn wir jetzt einmal diejenigen, die Schottland lediglich auf Whisky, Lachs und Golf reduzieren, ausblenden, so stellt sich die Frage: was ist an diesem Land dermaßen magisch, faszinierend und einzigartig dass so gut wie jeder es einmal gesehen haben möchte?
Bereits Maria Stuart, die Schottland nur von ihrer frühen Kindheit kannte und erst 1561, im Alter von 19 Jahren, als französische Königswitwe in ihre Heimat zurückkehrte, fühlte sich um Jahrhunderte zurückversetzt. Eben noch den Glanz am Pariser Hofe, Kunst und Kultur, nun ein düsteres Land ohne Sitte und Anstand und voll mit Adeligen, die ihre Königin lieber tot als lebendig sehen wollten. Was ist es also, was interessierte Touristen in Scharen Jahr für Jahr in dieses meteorologisch unberechenbare Land treibt?
Meine Vermutung ist, es ist die grandiose Mischung aus wildromantischer Schönheit, die interessante und teils grausame Geschichte, die an jeder Ecke allgegenwärtigen Mythen und Legenden sowie, nicht zuletzt, die Menschen, die sich doch so sehr von den Steuereintreibern südlich des River Tyne positiv unterscheiden.
Wer den Central Belt verlässt, schließlich nördlich von Stirling in die Highlands vorstößt und durch die weiten und schmalen Täler zwischen den kahlen Hügelkuppen und Bergen fährt, wird jedes Mal von einem unergründlichen Gefühl der Weite überrannt. Beim Erreichen der westlichen und nördlichen Highlands wird dieses Gefühl überwältigend. An unendlich vielen Punkten auf den schmalen Single Track Roads habe ich bereits Halt gemacht und die unglaubliche Ruhe, die raue Schönheit und die stets vorhandenen Spuren einer uralten Geschichte auf mich wirken lassen.
Ob man nun nördlich von Ardbeg in schwer zu erreichender, aber unglaublich schöner Landschaft steht, inmitten der Ruinen des Dorfes Claigeann Mhìcheil, wo einst ein Seemann die Pest eingeschleppt hatte und die Illeachs von Ardbeg solange die Dorfbewohner mit Lebensmitteln versorgten, bis diese eines Tages nicht mehr am Dorfeingang abgeholt wurden, woraufhin das Dorf niedergebrannt wurde. Ob man auf einer Hügelkuppe einen kaum mehr wahrnehmbaren, kreisförmigen Steinwall sieht und darin ein uraltes, piktisches Fort erkennt. Ob man sich im berühmten und dramatisch schönen Glen Coe abseits der Straße auf einen Stein setzt und sich die Geschehnisse von 1692 ins Gedächtnis ruft, als der junge Robert Campbell mit seinen Soldaten auf Geheiß von Wilhelm III. von Oranien (kein Schotte wohlgemerkt) 120 Familienmitglieder der MacDonalds of Glen Coe abschlachtete. Ob man sich nun bei einer Besichtigung in Crathes Castle einen eiskalten Schauer über den Rücken fahren lässt, da die im 17. Jahrhundert verschwundene und im 19. Jahrhundert in einer verborgenen Kammer als Skelett wiederentdeckte Magd noch immer für einige Menschen spürbar gegenwärtig ist. Ob man nun vor Eilean Donan Castle steht, der Filmkulisse in den nördlichen Highlands, wo im Jahre 1539 ein Diener, ein alter Mann und ein Kind einen Angriff der MacDonalds of Sleat dank eines Zufalls und meterdicker Mauern zurückschlagen konnten. Ob man seiner Phantasie freien Lauf lässt, wenn man in dem kleinen Turmzimmer im Holyrood Palace steht und die Reste des tief eingedrungenen und im Holz gut konservierten Blutes von David Rizzio sieht, des Privatsekretärs von Maria Stuart, der 1566 mit über 50 Dolchstichen von den Adeligen und dem Ehemann von Maria förmlich geschlachtet wurde und dort ausblutete.
Oder ob man, zurück in der Gegenwart, eine der über 130 Whiskybrennereien Schottlands besichtigt und sich das flüssige Gold schmecken lässt, welches immerhin bereits seit 1494, verbrieft und beurkundet, in Schottland zuhause ist. Was man auch sieht, anfasst, hört und schmeckt: Man bekommt den Eindruck, dass fast alles in diesem Land den Odem der Geschichte ausatmet. Oft düster und brutal, aber stets faszinierend und schillernd. Vielleicht ist es die gekonnte Mischung aus einer großen Portion Tradition, garniert mit einem Schuss Moderne, die uns dieses schöne Land mit seinen netten Menschen so häufig bereisen lässt. Wer weiß.